Ist der Schuldner frei von ESG-Kontroversen?
Unsere oberste Priorität ist es, herauszufinden, ob der Emittent mit einer ESG-Kontroverse belastet ist. Allein die Emission einer ESG-gekennzeichneten Anleihe setzt ein Unternehmen einer zusätzlichen Prüfung durch die Medien aus, bei der schon die Andeutung von Heuchelei den Ruf über Nacht schädigen und die Wertentwicklung der Anleihe beeinträchtigen kann. Daher ist dieser Schwellenwert bewusst hoch angesetzt.
Auf dieser Ebene berücksichtigen wir auch die grundlegenden ESG-Bewertungen eines Unternehmens in der AB-eigenen Bonitäts- und Risikobewertungsplattform PRISM.
Neben der Prüfung einzelner Unternehmen auf potenzielle Kontroversen weisen unsere Untersuchungen darauf hin, dass einige Sektoren nicht für ESG-gekennzeichnete Anleihen geeignet sind – insbesondere solche, die bedeutende Einnahmen direkt aus Tabak, Sexdienstleistungen, Alkohol, Glücksspiel, Waffen und Landwirtschaft, die direkt mit Abholzung verbunden ist, wie Palmöl, erzielen. Unternehmen, die mit fossilen Brennstoffen arbeiten, werden nur dann glaubwürdige Emittenten von ESG-Anleihen sein, wenn sie auch einen glaubwürdigen Dekarbonisierungsplan haben.
Unternehmen, die den Schwellenwert der Stufe 1 nicht erreichen, sollten keine ESG-Anleihen ausgeben, und wenn sie es doch tun, sollten Anleger sie meiden.
Sind die KPI-Ziele oder die Erlösverwendung akzeptabel? Sind die Mechanismen der Anleihe angemessen?
Die Ziele einer ESG-Anleihe und die Verwendung der Erlöse müssen sowohl für das Unternehmen als auch für seine Branche angemessen sein. Bei grünen oder sozialen Anleihen bedeutet das, dass die Erlöse eindeutig auf grüne oder soziale Ziele ausgerichtet sein müssen. Bei nachhaltigkeitsbezogenen Anleihen muss das KPI-Ziel zu den relevantesten ESG-Kennzahlen für die Branche des Emittenten gehören und so ehrgeizig sein, dass die Auswirkungen sinnvoll und dauerhaft sind.
Wir prüfen auch, ob die Verwendung der Erlöse in anderer Hinsicht einen wesentlichen Schaden verursachen könnte. So kann beispielsweise ein geplanter Staudamm, der über eine grüne Anleihe finanziert wird, der lokalen Umwelt schweren Schaden zufügen.
Sind die Mechanismen der Anleihe dann angemessen? Werden die aufgenommenen Mittel zeitnah eingesetzt? Ist der Zeitrahmen für die Erfüllung der KPI angemessen? Ist die Strafe für das Verfehlen des Ziels bei einer Anleihe mit Nachhaltigkeitsbezug hoch genug? Und schließlich: Plant das Unternehmen, in Zukunft weitere ESG-Anleihen zu begeben und so zu einem robusteren ESG-Markt beizutragen?
Anleger sollten ihr Engagement in ESG-gekennzeichneten Anleihen, die dieses Niveau nicht erreichen, auf ein Minimum reduzieren. Wenn die Anleihe jedoch einige, aber nicht alle Kriterien erfüllt, sollten Anleger sie wie eine herkömmliche Anleihe bewerten. Wenn die Anleihe den Schwellenwert eindeutig überschreitet, betrachten wir sie als fair strukturierte Anleihe mit ESG-Siegel und bewerten sie entsprechend. Das bedeutet in der Regel, dass man bereit ist, eine geringfügig niedrigere Rendite, ein sogenanntes „Greenium“, zu akzeptieren, um im Gegenzug in Zeiten von Marktstress geringere Rückschläge hinnehmen zu müssen (siehe oben).
Weniger Grünfärberei kann mehr Alpha bedeuten
Auf den globalen Anleihenmärkten sind ESG-gekennzeichnete Anleihen etwas höher bewertet und bieten daher geringfügig niedrigere Renditen als ihre konventionellen Pendants. Gemäß unserem obigen Rahmen kann die Akzeptanz dieses geringfügigen Greeniums entgegen der Intuition das Alpha verbessern. Derzeit liegt dieses Greenium zwischen 1 % und 5 % des durchschnittlichen Spreads für die Region und die Branche der Emission (Abbildung). In Europa ist das Greenium am geringsten, da es hier das größte Angebot an ESG-zertifizierten Anleihen gibt.