ESG-Anleger sollten nicht nur auf die offenkundigen Chancen schauen

07. August 2023
5 min read

Unternehmen, die dabei sind, ESG-Kontroversen zu meistern, verdienen die Aufmerksamkeit von ESG-fokussierten Anlegern.

Für viele ESG-fokussierte Anleger scheint der Kauf von Aktien von Unternehmen, die als gute Akteure gelten, eine natürliche Wahl zu sein. Sollten wir nicht Unternehmen mit niedrigen CO2-Emissionen, positiver Sozialpolitik und guter Unternehmensführung belohnen? Auf diese Weise wird für schlechte Akteure ein Anreiz geschaffen, sich besser zu verhalten.

Wenn diese Strategie richtig ausgeführt und durch eine kohärente Engagement-Agenda unterstützt wird, ist sie ein effektiver Weg, um ESG-Ziele zu unterstützen und Erträge mit Aktien zu erzielen. Es gibt jedoch noch einen anderen Weg zu ESG-Investitionen, der viel weniger befahren ist und Zugang zu einer ganz anderen Gruppe von Unternehmen bietet.

ESG-Upgrades können Erträge steigern

Entgegen der landläufigen Auffassung sind wir der Meinung, dass Unternehmen mit niedrigeren ESG-Ratings eine genauere Betrachtung verdienen. Denn viele Unternehmen mit hohen ESG-Ratings können sich realistischerweise nicht mehr verbessern, während Unternehmen mit niedrigeren ESG-Ratings mehr Spielraum für Verbesserungen haben, was sich ebenfalls positiv auf die Erträge auswirken kann.

Unsere Untersuchungen zeigen, dass Aktien von Unternehmen, die ein höheres ESG-Rating erhalten haben, den MSCI All Country World Index (ACWI) im darauffolgenden 12-Monats-Zeitraum um 0,36 % übertrafen, während Unternehmen, die herabgestuft wurden, eine Underperformance von 1,33 % aufwiesen (Abbildung). 

Anerkennung von ESG-Verbesserungen kann Aktienerträge steigern
Bar chart shows performance of MSCI ACWI companies in a 12-month period after an upgrade, downgrade or no change to an ESG rating, from 2008 to 2022.

Die Wertentwicklung in der Vergangenheit und historische Analysen sind keine Garantie für zukünftige Ergebnisse.
Terminerträge für den 12-Monats-Zeitraum nach einer ESG-Aufwertung. 
Basierend auf Unternehmen im MSCI ACWI und den ESG-Ratings von MSCI. Analysezeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2022. 
Quelle: MSCI und AllianceBernstein (AB)

Neue wissenschaftliche Untersuchungen unterstützen diesen Ansatz. Kelly Shue, Professorin für Finanzwesen an der Yale University, hat untersucht, wie sich die Umweltauswirkungen emissionsarmer „grüner“ Unternehmen und emissionsstarker „brauner“ Unternehmen bei veränderten Kapitalkosten verändern. „Was wir herausgefunden haben, ist, dass sich ihre Umweltauswirkungen kaum ändern, selbst wenn es für diese ,grünen‘ Unternehmen leichter wird, an Kapital zu kommen“, sagt Shue.

Sich von „braunen“ Unternehmen zu trennen, ist laut Shue kontraproduktiv. Das liegt daran, dass die höheren Kapitalkosten dazu führen, dass sich diese Unternehmen mehr um ihr kurzfristiges Überleben sorgen, sodass sie sich weniger auf langfristige Initiativen zur Emissionssenkung konzentrieren werden. „Braune“ Unternehmen haben oft innovative Ideen zur Emissionsreduzierung, brauchen aber Kapital, um sie umzusetzen.

Welche Sektoren reduzieren die Emissionen am meisten?

Es überrascht nicht, dass Unternehmen mit hohen CO2-Emissionen in Sektoren wie Energie, Werkstoffe und Versorgungsunternehmen zu finden sind. Nachhaltige Fonds meiden in der Regel diese Sektoren (Abbildung), obwohl die Unternehmen, die den Kern des Problems bilden, unserer Ansicht nach Teil der Lösung sind. Auf Unternehmen aus dem Rohstoff- und Versorgungssektor entfielen 84 % der Emissionssenkungen unter den MSCI-ACWI-Unternehmen von 2016 bis 2022.

ESG-fokussierte Fonds ignorieren große Teile des Marktes
Left chart shows key sector positions of 303 ESG-focused equity funds. Right chart shows the contribution of materials and utilities to the reduction of CO2 emissions from 2016-2022.

Aktuelle Analysen sind keine Garantie für zukünftige Ergebnisse. Rundungsfehler möglich.
* Analyse basiert auf dem Median von 303 aktiven ESG-fokussierten Aktienfonds zum 31. Dezember 2022.
† Stand: 30. Juni 2022
Quelle: eVestment, MSCI und AllianceBernstein (AB)

Um übersehene ESG-Chancen zu finden, sollten Anleger unserer Meinung nach nach zwei Arten von Unternehmen Ausschau halten: solche mit unerkannten Hochstufungen des Ratings und vernachlässigte Wegbereiter.

Nach vorne schauen – nicht zurück

ESG-Ratings sind von Natur aus rückwärtsgerichtet. Sie zeichnen ein unvollständiges Bild der ESG-Belange eines Unternehmens, da sie keine Auskunft darüber geben, wie sich ein Unternehmen verbessern könnte.

Graphic Packaging aus den USA hatte beispielsweise im Jahr 2020 ein niedriges ESG-Rating, weil es Bedenken wegen seines hohen Wasserverbrauchs und seiner CO2-Intensität hatte. Seitdem hat MSCI das Rating dreimal angehoben (auf AA), und die Aktien von Graphic Packaging haben sich in diesem Zeitraum besser entwickelt als der Markt.

Maple Leaf Foods, ein kanadischer Hersteller von Lebensmitteln auf tierischer und pflanzlicher Basis, hatte 2020 ein bescheidenes ESG-Rating von A, obwohl das Unternehmen bei der ethischen Fleischproduktion branchenführend ist. Anleger, die sich mit dem Unternehmen befasst haben, hätten zudem Verbesserungspotenzial beim Wasserverbrauch und der Energieeffizienz erkennen können. Nach Verbesserungen beim Wasserverbrauch stufte MSCI das ESG-Rating des Unternehmens im August 2021 herauf.

Unterstützung der Nachhaltigkeit hinter den Kulissen

Einige Unternehmen, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen, werden auf dem ESG-Radar einfach nicht registriert. Die in den USA ansässige MYR Group beispielsweise erbringt Baudienstleistungen für Stromnetze und ist in ESG-fokussierten Portfolios nicht weitverbreitet. Unserer Ansicht nach ist MYR Group jedoch in der Lage, vom beschleunigten Aufbau von Wind- und Solarparks zu profitieren, die neue Netzanschlüsse erfordern, was die Nachfrage nach den Dienstleistungen des Unternehmens steigern könnte.

Diversifizierung von Faktorengagements in ESG-fokussierten Portfolios

Diese Art von Unternehmen kann auch Diversifizierungsvorteile bieten. Das liegt daran, dass viele unerkannte Verbesserer und vernachlässigte Wegbereiter als Substanzwerte eingestuft werden, die in nachhaltigen Portfolios unterrepräsentiert sind. Die meisten nachhaltigen und ESG-fokussierten Aktienfonds sind auf Wachstumswerte ausgerichtet. Anleger, die bei ESG-fokussierten Aktien eine breitere Diversifizierung anstreben, können diese beiden Ansätze kombinieren und so ein komplementäres, ausgewogeneres Stilengagement in ihren Allokationen erreichen.

Die Investition in ESG-Verbesserer und -Wegbereiter erfordert einen Mentalitätswandel. Der einfache Ausschluss von Sektoren und Unternehmen, die enorme Emissionen verursachen oder bei ESG-Ratings schlecht abschneiden, wird wahrscheinlich nicht ausreichen, um die weltweite Energiewende oder andere Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Durch die Entwicklung von Anlagethesen, die ESG-Verbesserungen als zentral für das Erzielen von Erträgen betrachten, können Anleger neue Wege zu Unternehmen und Aktien finden, die dazu beitragen können, die hartnäckigsten Hindernisse auf dem Weg in eine nachhaltigere Zukunft zu überwinden.

In diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Analysen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider und können von Zeit zu Zeit überarbeitet werden. 

Verweise auf bestimmte besprochene Wertpapiere stellen keine Anlageempfehlungen von AllianceBernstein L.P. dar.

MSCI makes no express or implied warranties or representations, and shall have no liability whatsoever with respect to any MSCI data contained herein.

The MSCI data may not be further redistributed or used as a basis for other indices or any securities or financial products. This report is not approved, reviewed or produced by MSCI.