Data Science erfordert die Anpassung traditioneller Anlageprozesse durch Anleihenverwalter, um neue Technologien zu nutzen und menschliche Talente zu stärken.
Da der Anleihenmarkt seine Entwicklung von analog zu digital fortsetzt, müssen sich Anlageverwalter überlegen, wie sie die zunehmende Leistungsfähigkeit von Data Science (Datenwissenschaft) und KI für das Geschäft nutzen können. Die Integration von neuen und aufkommenden Technologien bringt – richtig umgesetzt – das Potenzial, bessere und schnellere Erkenntnisse und Entscheidungen zu fördern und gleichzeitig menschliche Talente bestmöglich auszuschöpfen. Wir berichten von einigen Beobachtungen, die wir auf unserer eigenen digitalen Reise gemacht haben.
Durch die Entwicklung von Exzellenzzentren können Anlagekompetenzen verbessert werden
Mithilfe der Datenwissenschaft lassen sich viele verschiedene Anlageaktivitäten optimieren. Für Anleger ist es unserer Auffassung nach wichtig, die konkreten Bereiche zu wählen, in denen sie ihre Data-Science-Exzellenzzentren aufbauen möchten. Diese Kompetenzen müssen mit der Zeit entwickelt werden, da auf dem Gebiet weiterhin schnell Fortschritte gemacht werden.
Effektiv gestaltete und eingesetzte Exzellenzzentren können dazu beitragen, Anlagekompetenzen zu stärken, neue Erkenntnisse mit Kunden zu teilen und das Lernen voneinander zu verbessern. So optimieren wir in den Geschäftsbereichen von AB beispielsweise unseren Vertrieb, unsere operativen Tätigkeiten sowie unsere Risiko- und Compliance-Tätigkeiten. Mit Blick auf strategische Anlagen können wir Data-Science-Tools nutzen, um Asset-Allokationen zu entwickeln und einem Stresstest zu unterziehen, und dabei verschiedene Annahmen und Kundenpräferenzen berücksichtigen.
Data Science und Innovation bieten die Ressourcen zur Konstruktion einer Investmentplattform der nächsten Generation – ein entscheidender Schritt zu einer besseren Wertentwicklung von Anlagen und zur Erfüllung der Kundenbedürfnisse.
Die Datenbestände werden größer und damit auch die Notwendigkeit, sie zu erfassen und zusammenzuführen
Eine gute Vorgehensweise im Zusammenhang mit der optimalen Nutzung der Datenwissenschaft besteht darin, möglichst viele Daten zu sammeln und sie zusammenzuführen, um ihren Einfluss auf die Entscheidungsfindung zu bestimmen. In den letzten Jahren sind die Zahl der Quellen und die Menge verfügbarer Daten extrem gestiegen. Zur Verarbeitung sämtlicher Daten ist es unserer Meinung nach sinnvoll, Daten anhand der „vier Vs“ zu bewerten: Volume, Velocity, Variety und Veracity (Datenmenge, Geschwindigkeit der Datenverarbeitung, Vielfalt und Wahrhaftigkeit der Daten) – Letzteres ist zu betrachten, weil es von entscheidender Bedeutung ist, dass die Informationen zutreffend sind.
Viele der in unseren Anlageprozessen verwendeten Datensätze sind unstrukturiert. Zum Beispiel können Anleger mittels Web Scraping Daten in Nachrichtenartikeln und den Medien finden und sie verarbeiten, damit sie als Entscheidungshilfe dienen können. Eine direkte Anwendung ist die Beschaffung von Daten direkt aus dem Internet, um die haushaltspolitische Stabilität von US-Staaten und -Städten zu beurteilen und Informationen über deren Kreditwürdigkeit zu erhalten. Beispielsweise haben wir Websites von lokalen Bildungseinrichtungen und Universitäten nach Daten in Bezug auf Einschreibungen von Studierenden und Absolventenquoten durchsucht, die einen Hinweis darauf liefern, ob Wohngegenden sich gut entwickeln. Diese Art unstrukturierter Daten, die nicht von einem Anbieter stammen, können einzigartige Einblicke liefern, die uns helfen, ein besseres Verständnis der Risiken zu entwickeln und Wertpapiere zu bewerten – das ist sowohl beim Investieren in Anleihen als auch bei Aktienanlagen entscheidend.
Eine Verknüpfung klassischer Datensätze mit unstrukturierten Daten kann zu besseren Erkenntnissen führen. Analysten beispielsweise können die Mikroökonomie beurteilen und Faktoren wie Einkaufszentren unter die Lupe nehmen, um Trends auszuloten, unter anderem auch Verbraucherausgaben oder Immobilientransaktionen. Diese aggregierten Ergebnisse lassen sich in Preisen von Immobilien und Wertpapieren sowie Portfolioeigenschaften abbilden. Gegenüber der arbeitsintensiven Ära der Excel-Tabellen sorgt die Datenwissenschaft für mehr und schnellere Erkenntnisse, die genauer und zunehmend aussagekräftiger sind.
Verbesserungspotenzial sowohl für fundamentales als auch quantitatives Research
Data Science birgt erhebliches Potenzial zur Verbesserung des fundamentalen und auch des quantitativen Research, was wir äußerst positiv einschätzen. Fundamentalanalysten, die versuchen, durch ein tieferes Verständnis der Hintergründe einer speziellen Anleiheemission bessere Einblicke zu erhalten, können Data-Science-Tools nutzen. Durch die KI aufgezeigte neue Dimensionen können, sofern sie durch die menschliche Expertise und Erfahrung eines Analysten probat ausgelegt werden, zu einem besseren Verständnis dessen führen, was einen Emittenten tatsächlich antreibt.
Data Science kann auch neue Erkenntnisse für das quantitative Research bringen. Beispielsweise benötigten wir zur Validierung von Trends in der Vergangenheit eine Datenhistorie über längere Zeiträume. Dies kann die KI jedoch effektiv über kürzere Zeiträume bewerkstelligen, indem sie sich einer Querschnittsanalyse bedient. Durch die Einbeziehung der richtigen Data-Science-Techniken können bestehende unternehmenseigene KI-basierte Ansätze verfeinert und effektiver gestaltet werden. Dem gegenüber steht die direkte, undifferenzierte Befragung eines Tools wie ChatGPT in der Hoffnung, dass diese nachhaltige Erkenntnisse bringt.
Anleger müssen bei der Anwendung der Datenwissenschaft auf die Analyse geschickt vorgehen, da sich die analysierten Emittenten zunehmend bewusst sind, dass sie genau unter die Lupe genommen werden. Die natürliche Sprachverarbeitung (Natural Language Processing, NLP) liefert ein gutes Beispiel dafür. Sie wird mittlerweile recht häufig zur Analyse der Erfolgsrechnungen von Unternehmen genutzt, und wir stellen fest, dass die Geschäftsführer vorsichtig bei ihren Formulierungen sind, um bei den Analysen der Anleger mehr Optimismus zu vermitteln. Deshalb konzentrieren wir uns bevorzugt auf Kennzahlen von Analysteneinschätzungen, die nach unserer Feststellung im Zeitverlauf ein stabileres und stärkeres Signal geliefert haben.
KI-gesteuerte Prozesse können eine bessere Ausschöpfung der menschlichen Fähigkeiten ermöglichen
Data Science verändert die Anlageprozesse grundlegend, wodurch sie nicht nur schneller und effizienter werden, sondern auch eine bessere Ausschöpfung der menschlichen Fähigkeiten ermöglicht wird.
Die Datenwissenschaft lässt sich zur Digitalisierung und Integration der Schritte bei häufig zeitaufwändigen, linearen Anlageansätzen einsetzen, die vom Research bis zur Überprüfung, Genehmigung durch den Anlageausschuss, Ordererstellung und Handel reichen. Aus unserer Sicht war die Einrichtung eines digitalen Research-Zentrums ein erster wichtiger Schritt. Da die Anleihenmärkte hochgradig fragmentiert sind, sind Instrumente zur Identifizierung von Liquiditätspotenzialen ebenfalls entscheidend. Ein virtueller Chatbot-Assistent kann Research und Erkenntnisse zur Liquidität unverzüglich in empfohlene Trades einbeziehen.
Die durch Data Science mögliche Zeitersparnis und Effizienz sind real. Denken Sie beispielsweise an den Entscheidungsprozess, wenn es darum geht, welche neuen Anleihenemissionen für Kundenportfolios geeignet sind. Es gibt zahlreiche neue Emissionen, deren Emissionsprospekte 100 Seiten lang sind. Durch Prozesse, die vorab festgelegte Kriterien auslesen und auf Dokumente anwenden können, können sich Analysten auf KI-Ergebnisse und zentrale Passagen konzentrieren und Empfehlungen auf Grundlage ihres Fachwissens abgeben. Dies könnte Analysten 50%–70% ihrer Zeit einsparen und ihnen ermöglichen, die zwei- bis dreifache Menge an Neuemissionen zu analysieren.
Die Automatisierung der eher routinemäßigen Komponenten des Anlageprozesses und die Optimierung des quantitativen und fundamentalen Researchs für die Portfolioteams fördert unserer Ansicht nach bessere, durch menschliche Erkenntnisse fundierte Entscheidungen – und gibt den Menschen mehr Möglichkeiten bei deren Entwicklung. Diese Rolle wird stets entscheidend sein, sodass menschliche Experten nach wie vor den Anlageprozess steuern und Verantwortung dafür übernehmen müssen.
Der Fokus auf menschliche Erkenntnisse passt bei traditionellen Anleiheprodukten, bei denen Portfoliomanager die bevorzugten Wertpapiere direkt auswählen. Außerdem passt er bei systematischen Anlageprodukten, bei denen Portfoliomanager eine Bibliothek von Prognosefaktoren anlegen, die maschinelle Lernprozesse zur Auswahl von Wertpapieren anwenden.
Veränderter Kompetenzbedarf angesichts der Bewältigung neuer Herausforderungen durch Menschen und KI
Was die Datenwissenschaft nicht verändern wird, ist der Bedarf an Anleiheanalysten und Portfoliomanagern mit überzeugendem Anlagegeschick. Die Welt des Investments ist derart komplex, vielgestaltig und schwer prognostizierbar, dass diese menschlichen Fähigkeiten und Eigenschaften weiterhin gefragt sein werden. Zudem müssen Anlagestrategien in Bezug auf die Art und Weise, wie sie Kapital in Portfolios investieren, dennoch intuitiv und logisch Sinn ergeben. Wichtig ist, dass KI ein Instrumentarium zur Verbesserung der menschlichen Entscheidungsfindung bleiben und diese nicht ersetzen sollte, und menschliche Experten weiter die Verantwortung für Anlageentscheidungen tragen.
Doch die erforderlichen Kompetenzen ändern sich mit der Weiterentwicklung der Datenwissenschaft. Für die neue Generation von Anlegern am Anleihenmarkt stellt die Fähigkeit des Programmierens eine Minimalanforderung dar, so wie gute Excel-Kenntnisse die Minimalanforderung für die vorige Generation waren. Die Fähigkeit zu einer engen Zusammenarbeit mit unternehmensinternen Datenwissenschaftlern und Technologieexperten wird ebenfalls eine entscheidende Eigenschaft bei der Unterstützung von Unternehmen sein, damit sie das Potenzial von Data Science und KI bestmöglich ausschöpfen können.
Zu dieser Arbeit gehört auch die Entwicklung neuer Möglichkeiten zur Einbindung der KI in die Anlageprozesse. Unseres Erachtens stellt die Entwicklung von KI-Tools, mit denen die Szenarioanalyse verbessert werden kann, eine große Chance dar. Dazu bedarf es weiterer Arbeit. Doch wir erwarten, dass Maschinen irgendwann lernen können, Wirtschaftsvariablen wie Inflation oder sogar Vermögenswerte wie Schuldtitel zu modellieren, und menschliche Experten damit in die Lage versetzen, fundiertere und schnellere Anlage- und Allokationsentscheidungen zu treffen.
Darüber hinaus denken wir, dass die Anpassung an Kundenwünsche in der Zukunft ein weiterer großer Schwerpunkt sein wird. In der Vergangenheit war die gezielte Anpassung von Kundenportfolios ein arbeitsintensiver Prozess. Für Anlageverwalter, die in der Lage sind, effektive und effiziente digitalisierte Prozesse zu entwickeln, bietet die KI mehr Kapazitäten zur kostengünstigen Bereitstellung individueller Lösungen für Kunden. Dies sind lediglich einige der Chancen, die sich uns in Zukunft bieten dürften, um die zunehmende Leistungsfähigkeit der Data Science auszuschöpfen und damit bessere Ergebnisse anzustreben.