Geldpolitik und Inflation
Die Kursschwankungen im September spiegeln zum Teil das Unbehagen über die Veränderung des geldpolitischen Umfelds wider. In Südkorea, Ungarn und Norwegen haben die Zentralbanken ihre Leitzinsen von den historischen Tiefstständen angehoben. Das sind die ersten konkreten Anzeichen für geldpolitische Veränderungen. Die Europäische Zentralbank bereitet sich darauf vor, ihr Pandemie-Notfallankaufprogramm einzustellen, während die Fed nach eigener Aussage voraussichtlich im November mit der Drosselung ihrer Anleihekäufe beginnen wird und eine mögliche Zinserhöhung im nächsten Jahr angedeutet hat.
Ein ausgewachsenes „Taper Tantrum“ gab es bislang allerdings noch nicht. Es gab zwar einige schwierige Handelstage, aber die Anleger scheinen sich nach und nach daran zu gewöhnen, dass die außerordentlichen geldpolitischen Maßnahmen, die während der Pandemie ergriffen wurden, nun tatsächlich beendet werden.
Die Inflation ist jedoch eine echte Bedrohung, vor allem da Lieferkettenengpässe in vielen Branchen die Preise nach oben treiben. In Europa erreichte die Teuerungsrate im August ein Niveau von 3% und lag damit deutlich über den von der Europäischen Zentralbank angestrebten 2%. Gemäß der Prognose der Bank of England könnte die Inflation im Vereinigten Königreich im zweiten Quartal 2022 auf über 4% steigen, und in den USA hob die Fed ihre Inflationserwartungen für 2021 auf 4% an. Unternehmen aus aller Welt nehmen dies zur Kenntnis und sprechen die Inflation bei ihren Telefonkonferenzen zu den Finanzergebnissen so häufig an wie seit Jahren nicht mehr.
Makroökonomische und politische Trends sind wichtig; sie bestimmen die Aktienkurse und Renditemuster. Beispielsweise reagieren wachstumsstärkere Aktien im Allgemeinen empfindlicher auf steigende Zinsen als wachstumsschwächere Aktien oder Substanzwerte. Wir halten die Prognose kurzfristiger makroökonomischer Entwicklungen, die nur wenig Einfluss auf den längerfristigen Unternehmensgewinn haben, jedoch nicht für einen vernünftigen Anlageansatz. Anstatt eine direktionale Perspektive einzunehmen, sollten Anleger ihre Portfolios unserer Meinung nach gegen makroökonomische Risiken absichern. Ein aktives Management kann dabei helfen, Unternehmen zu finden, die sich unabhängig von politischen Entscheidungen, Zinssätzen oder Inflation gut entwickeln werden.
Sicherlich, unser Research legt nahe, dass die Aktiengewinne darunter leiden werden, wenn die Inflation langfristig über 4% liegt. Unseres Erachtens sollten Anleger jedoch wegen der Inflation nicht auf Aktien verzichten, ganz gleich, ob sich diese als vorübergehend oder hartnäckiger erweist. Auf jeden Fall sollte die Inflation nun systematisch bei der Unternehmensanalyse berücksichtigt werden. Unternehmen mit echter Preissetzungsmacht dürften in einem inflationären Umfeld deutlich besser abschneiden als ihre Wettbewerber ohne diesen Vorteil. Andere Unternehmen könnten die negativen Auswirkungen steigender Rohstoffpreise zu spüren bekommen. Wieder andere, wie Rohstofferzeuger, Immobiliengesellschaften und Banken, profitieren in der Regel von der Inflation. Aktive Manager können dazu beitragen, sicherzustellen, dass die Aktienbestände auf die komplexen Verhältnisse in einem inflationären Umfeld zugeschnitten sind.
Chinas doppelte Herausforderung: Kann man unbesorgt investieren?
Von China ausgehende Risiken müssen ebenfalls proaktiv gesteuert werden. Die jüngsten Entwicklungen in China haben das Anlegervertrauen in die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt erschüttert. Im Juli brachen aufgrund des harten Durchgreifens der Behörden bei Technologieunternehmen und Bildungsanbietern die Kurse chinesischer Aktien ein. Im September schürten die Schuldenprobleme des riesigen Immobilienentwicklers Evergrande dann Bedenken über die Stabilität der Branche und des chinesischen Finanzsystems.
Die Sorge, dass Evergrande einen Dominoeffekt auslösen könnte, ist nachvollziehbar. Doch auch wenn ein Ausfall für die Anleiheinhaber schmerzlich wäre und die Volatilität wahrscheinlich verstärken würde, sollte das chinesische Bankensystem dem Druck unserer Einschätzung nach standhalten können. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass die Regierung Evergrande rettet, aber wir gehen davon aus, dass sie Maßnahmen ergreifen wird, um den Zusammenbruch des Immobiliensektors zu verhindern. Und mittel- bis langfristig ist die Bereinigung um nicht überlebensfähige Unternehmen wie Evergrande gut für die finanzielle Stabilität des Systems, insbesondere dann, wenn ein gewisses Maß an Disziplin beim Einpreisen von Risiken Eingang in den Prozess findet. Dies dürfte zu mehr Transparenz für Anleger führen, die auf eine gezielte Titelauswahl setzen.
Chinas Regulierungsmaßnahmen im Sommer müssen auch im Gesamtzusammenhang betrachtet werden. Überraschende aufsichtsrechtliche Änderungen in China sind nichts Neues. Da das Land in den letzten Jahrzehnten so rasant gewachsen ist, nehmen die Aufsichtsbehörden oft Änderungen vor, um mit neuen Branchen Schritt zu halten, die sich blitzschnell entwickelt haben.
Während die Regulierungsmaßnahme – selbst in Industrieländern – nicht vorhersehbar ist, können selektive Anleger Unternehmen erkennen, deren Risiko ins Fadenkreuz der Aufsichtsbehörden zu geraten, geringer ist. Das gilt insbesondere für reifere chinesische Branchen wie Basiskonsumgüter, Industriegüter oder Grundstoffe. Bei attraktiven Unternehmen, die stärker durch Regulierungsmaßnahmen gefährdet sind, können Anleger bei der Fundamentalanalyse höhere Risikoprämien ansetzen und die Aktien zu einem angemessenen Preis kaufen. Und da die chinesische Regierung ihre Politik des gemeinsamen Wohlstands verfolgt und Maßnahmen zur Verringerung von CO2-Emissionen ergreift, werden neue Regulierungsmaßnahmen auch positive Auswirkungen auf einige Branchen und Unternehmen haben und Anlegern neue Chancen bieten.
Standpunkte zu Bewertungen und Konzentrationsrisiken
China mag im Vergleich zu den Industrieländern wie eine ganz andere Welt wirken, aber es gibt einige Gemeinsamkeiten. Viele Bedenken hinsichtlich der Macht der Technologie- und Konsumgiganten in China werden von den US-Regulierungsbehörden geteilt. Bei der jüngsten Verkaufswelle in China waren einige der größten Unternehmen am stärksten betroffen, was in Bezug auf manche der beliebten US-Mega-Caps vielleicht als Warnung dient.
Der Einbruch wachstumsstarker Mega-Cap-Unternehmen im September gibt Anlass zu einem genaueren Blick auf die Marktrisikokonzentration in den USA. Zum Quartalsende hatten die fünf größten Unternehmen – Apple, Microsoft, Amazon.com, Alphabet Inc. (Google) und Facebook – einen Anteil von 22% am S&P 500 Index und von 37% am Russell 1000 Growth Index. Die zehn größten Unternehmen in den USA kosten jetzt 57% mehr als die übrigen Unternehmen im S&P 500 und der Bewertungsaufschlag hat sich seit Anfang 2019 verdoppelt. Beim MSCI World beläuft sich der Aufschlag für die zehn größten Unternehmen auf 65% (Abbildung links).