Der Wirtschaftsaufschwung bedeutet allerdings nicht, dass die EZB ihre Anleihekäufe komplett einstellen wird. Angesichts der noch weit vom Zielwert entfernten Inflation ist mit einer Zinserhöhung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Die EZB wird daher voraussichtlich noch für eine ganze Weile Anleihenkäufe über das APP tätigen.
Neukalibrierung der Geschwindigkeit bei APP-Ankäufen
Welches Ankaufvolumen die EZB nach dem Auslaufen des PEPP für das APP festsetzt, ist schwerer einzuschätzen.
Eine Möglichkeit besteht darin, dass der September 2019 als Referenzwert herangezogen wird. Bei der Wiederaufnahme des APP im Jahr 2019 war eine Verlangsamung der Konjunktur zu beobachten, Risiken tendierten abwärts und die Zentralbank hatte ihre Prognose für die Kerninflation 2021 von 1,8% (zu Jahresbeginn) auf 1,5% korrigiert. Heute beschleunigt sich die Konjunktur, die Risiken scheinen ausgewogen und die EZB hat ihre Prognose für die Kerninflation 2023 – die zu Beginn des Jahres bei 1,2% lag – auf 1,5% angehoben. Auch die Inflationserwartungen unterscheiden sich deutlich von ihrem Niveau von September 2019: Mit 1,75% liegen 5J5J-Inflationsswaps rund 50 Bp. höher als damals.
Vor Hintergrund dieser Zahlen ist bei den APP-Ankäufen ein höheres Tempo als im September 2019 schwer zu rechtfertigen. Doch in den letzten zwei Jahren hat sich Einiges geändert. Die EZB hat nicht nur ihr Inflationsziel auf 2,0% angehoben und dessen symmetrischen Charakter formalisiert, sondern auch betont, dass die Geldpolitik bei Zinsen nahe der effektiven Untergrenze „beständiger“ sein müsse. Darüber hinaus hat der EZB-Rat beim PEPP den Fokus vom Ankaufsvolumen auf den Erhalt günstiger Finanzierungsbedingungen verlagert.
Vormachtstellung der Fiskalpolitik bahnt sich an
Die letzte Überlegung im Hinblick auf den geldpolitischen Kurs betrifft den Umfang der Haushaltsdefizite. 2019 entsprach das Haushaltsdefizit der Eurozone 0,6% des BIP und die EZB rechnete mit einem Defizit von 0,8% (knapp 100 Mrd. EUR) im Jahr 2020. Vergangene Woche prognostizierte die Zentralbank für 2023 ein Defizit von 3,0% des BIP (etwa 390 Mrd. EUR). Wie der Chefvolkswirt der EZB, Philip Lane, kürzlich feststellte: „Man kann das Volumen des APP nicht getrennt vom Nettovolumen des Anleiheangebots betrachten.“ Ein Kommentar, der dem Eingeständnis einer dominanten Fiskalpolitik gefährlich nahe kommt.
Auswirkungen auf die Finanzmärkte
Wo stehen wir nun also?
Ein Vergleich zwischen der wirtschaftlichen Lage heute und der von September 2019 würde eine deutliche Verlangsamung der EZB-Anleihekäufe im nächsten Jahr nahelegen (auf 20 Milliarden Euro im Monat). Dass die Inflation fortwährend ihren Zielwert verfehlt, Beständigkeit das Gebot der Stunde ist und das Risiko besteht, den Anleihemarkt zu verschrecken, spricht allerdings für eine allmählichere Anpassung (beispielsweise auf 40-50 Mrd. Euro im Monat).
Es gibt noch weitere Gründe zur Vorsicht. Zum einen befindet sich die EZB aufgrund der potenziellen Spreadausweitungen in Nicht-Kernländern der Eurozone in einer einzigartigen Position gegenüber anderen Zentralbanken. Zum anderen ist zu bedenken, dass die Inflationserwartungen das letzte Mal, als der EZB-Rat eine Drosselung der Anleihekäufe anstrebte, in sich zusammenfielen (Abbildung unten links).