In der zweiten Phase unserer Analyse wurde jeder Anbieter gebeten, je ein Anleihen-, Aktien- und Multi-Asset-Portfolio zu bewerten, um seine Exponierung gegenüber Risiken und Chancen des Klimawandels einzuschätzen. Die Bewertungen der vier Anbieter wurden zur besseren Vergleichbarkeit in eine standardisierte Skala umgewandelt, und jeder Anbieter lieferte Bewertungen für physische Risiken sowie für Netto-Übergangsrisiken für jedes Unternehmen. Die Daten verdeutlichten die Herausforderungen, die diese Art der Modellierung mit sich bringt.
Während die Bewertungen des Gesamtportfolios recht ähnlich waren, variierten die Bewertungen für einzelne Positionen und Risiken stark, was zeigt, dass die Modelle unterschiedliche Detailtiefen abbilden. In unserer Untersuchung wurden zum Beispiel viele Unternehmen in der Bewertung eines Anbieters als extrem stark, in der eines anderen als außergewöhnlich schwach eingestuft.
Warum also waren die Gesamtbewertungen des Portfolios ähnlich? Die Antwort: Verwässerung. Trotz großer Unterschiede in den Einzelbewertungen der Anlagen werden abweichende Bewertungen abgeschwächt, wenn sie auf der Grundlage ihrer Positionsgröße innerhalb des Portfolios kombiniert werden. Dennoch sind die Bewertungen der einzelnen Anlagen im Kontext des Portfoliomanagements und der Portfoliokonstruktion von größter Bedeutung und können einen erheblichen Unterschied bei den Portfolioerträgen ausmachen. Wir glauben, dass dies den Vorteil von aktiven Investmentmanagern unterstreicht, die nicht nur ihre Wertpapiere gut kennen, sondern sich auch der Besonderheiten jedes der von ihnen verwendeten Szenarioanalyse-Modells bewusst sind.
Fallstudie: First Quantum
Der vielleicht beste Weg, Unterschiede in Klimamodellen zu verstehen, ist der Vergleich der Ergebnisse für ein Unternehmen bei verschiedenen Anbietern. First Quantum, kanadisches Unternehmen, das weltweit Kupfer- und Goldminen (mit bedeutenden Anlagen in Sambia) betreibt, erhielt von zwei Anbietern deutlich unterschiedliche Ergebnisse für die Szenarioanalyse. Diese Ergebnisse verdeutlichen die Unterschiede zwischen den Anbietern und den ihnen zugrunde liegenden Daten und Annahmen sowie die Notwendigkeit, die Ergebnisse der Szenarioanalyse kritisch zu analysieren – etwas, das unserer Ansicht nach nur aktive Manager mit intimer Kenntnis ihrer Portfoliobestände leisten können.
Anbieter A betrachtete zwölf Unternehmensstandorte, als er die physischen Risiken des Klimawandels für First Quantum bewertete. Er ermittelte, dass das Unternehmen bei extremer Kälte um 0,22 % profitieren, bei extremer Hitze jedoch um 2,21 % geschädigt werden würde, was einem physischen Nettorisikowert von –1,96 % entspricht. Das Modell von Anbieter A wies dem Unternehmen keine Auswirkungen von extremem Niederschlag, starkem Schneefall, starkem Wind, Überschwemmungen an der Küste oder tropischen Wirbelstürmen zu.
Im Gegensatz dazu maß das Modell von Anbieter C die physischen Risiken von Küstenüberschwemmungen (–1,13 %), Flussüberschwemmungen (–0,70 %) und chronischen Auswirkungen (–0,28 %). Dabei handelt es sich um langsam eintretende Folgen wie etwa die beobachteten Veränderungen bei den Kosten und der Produktivität von Arbeitskräften bei erhöhtem Hitzestress. Außerdem wurde ein Nutzen aus der Anpassung (+0,55 %) berücksichtigt, sodass der physische Nettorisikowert bei –1,56 % lag. Obwohl jeder Anbieter das Problem aus einer anderen Perspektive betrachtete und unterschiedliche Faktoren bewertete, war der Nettorisikowert einigermaßen vergleichbar.
Unsere Portfoliomanager, Analysten und das ESG-Team stellten jedoch fest, dass beide Anbieter die anhaltende Dürre in Sambia nicht in ihre Analyse einbezogen haben. Etwa 90 % der Stromerzeugung in Sambia erfolgt durch Wasserkraft, und es gibt routinemäßige Stromrationierungen, die sich bei anhaltender Dürre nur noch verschlimmern werden. Das ist eine erhebliche Bedrohung für die Geschäftstätigkeit des Unternehmens in diesem Land.
Die Berechnungen des Netto-Übergangsrisikos zeigten signifikante Unterschiede. Beide Anbieter berücksichtigten direkte Treibhausgasemissionen aus unternehmenseigenen Stromquellen (Scope-1-Emissionen), aber nur ein Anbieter berücksichtigte Emissionen aus zugekauften Stromquellen (Scope-2-Emissionen) und nachgelagerte Emissionen in der Wertschöpfungskette des Unternehmens (teilweise Scope 3). Bei den meisten Unternehmen stammt der Großteil der Treibhausgasemissionen aus Scope 3.
Anbieter C, der First Quantum einen Gesamtscore für das Übergangsrisiko von –62,81 % zuwies, verteilte den Score auf verschiedene Elemente seiner Übergangsrisikofaktoren wie etwa Minderung, Scope-Emissionen sowie Nachfragezerstörung und Reaktion. Anbieter A hingegen vergab nur einen Gesamtscore für das Übergangsrisiko von –72,35 %, der die zugrunde liegenden Elemente des Betriebs- und Geschäftsmodellrisikos, Scope-Emissionen und „einen im Laufe der Zeit global steigenden Preis“ für diese Emissionen ermittelte, aber die Scores in diesen Bereichen nicht aufschlüsselte oder wie sie zum Gesamtscore für das Übergangsrisiko beitrugen.
Die beiden Modelle stimmen auch weniger gut überein, wenn es um die Messung der Chancen durch den Klimawandel geht. Anbieter A betrachtet speziell Unternehmenspatente, um zukünftige Chancen zu messen, und gesteht First Quantum aufgrund fehlender Patente keinerlei potenziellen Nutzen aus dem Klimawandel zu. Im Gegensatz dazu beinhaltet die Bewertung von Anbieter C einen erwarteten Anstieg der Kupfernachfrage um +10,7 % aufgrund der fortschreitenden Umstellung auf Elektrofahrzeuge, und geht von einer Weitergabe der Kohlenstoffkosten im Umfang von 65,6 % aus, was eine Gesamtchance von +76,3 % ergibt. Beim Vergleich der Gesamtsummen für das Netto-Übergangsrisiko weist Anbieter C einen Netto-Risikowert von +11,9 % zu, gegenüber –2,0 % bei der eingeschränkteren Chancenbewertung von Anbieter A. Ein aktiver Manager mit grundlegenden Kenntnissen über das Unternehmen ist wahrscheinlich in der Lage, diese beiden Bewertungen in Einklang zu bringen, um zu einer angemesseneren Einschätzung des Übergangsrisikos und der Chance zu kommen.
Die Bedeutung persönlicher Erkenntnisse: Woolworths
Wir haben auch die Bewertungen von Szenarioanalyse-Anbietern im Vergleich zu unserer bereits erwähnten eigenen Szenarioanalyse für Woolworths, einer australischen Supermarktkette, untersucht. Unser Team schätzt, dass die physischen Risiken einer Unterbrechung der Lieferkette viel schlimmer sein werden als die Schätzungen der Szenarioanalyse-Modelle von Drittanbietern. Tatsächlich wurde das physische Risiko von AllianceBernstein (AB) als hoch eingestuft, im Gegensatz zu niedrig bei allen vier Anbietern. Besondere Sorge bereitet uns die Möglichkeit, dass der Klimawandel die Lebensmittelversorgung beeinträchtigt und zu einer hohen Lebensmittelinflation führt, was wiederum die Regierung veranlassen könnte, die Kapitalrendite für Lebensmittelhändler zu begrenzen, um die Verbraucher zu schützen.
Auf der anderen Seite stuften alle Anbieter von Szenarioanalysen das Transformationsrisiko für Woolworths als mittel bis hoch ein und urteilten, dass der Großteil der Kohlenstoffbelastung für die meisten Unternehmen aus den Scope-3-Emissionen fossiler Brennstoffe stammt (innerhalb der Lieferkette eines Unternehmens, etwa bei Kunden). Betrachtet man den Scope 3 genauer, so würde die große Anzahl von Lieferanten und Kunden einer Lebensmittelkette einen überdurchschnittlich hohen Risikowert verursachen. Was diese Modelle nicht berücksichtigten, war die Möglichkeit des Übergangs durch umweltbewusstere Verbraucher, die klimafreundlichere Produkte, Dienstleistungen und Orte zum Einkaufen suchen, was AllianceBernstein (AB) dazu veranlasste, das Übergangs-Klimarisiko für Woolworths als niedrig einzustufen.
Die weitere Entwicklung der Szenarioanalyse-Modelle
Diese Beispiele zeigen, dass die Identifizierung und Quantifizierung von Klimarisiken und -chancen durch Szenarioanalysen ein schwieriges Unterfangen ist, erst recht für ein gesamtes Portfolio. Aber die Szenarioanalyse steckt noch in den Kinderschuhen, sodass sich mit der Weiterentwicklung von Daten und Modellen wahrscheinlich einiges ändern wird.
Immer mehr Länder und Institutionen haben damit begonnen, die Einbeziehung von Klimadaten und Szenarioanalysen in die öffentliche Berichterstattung zu fordern. Die britischen Aufsichtsbehörden beispielsweise führen diese Berichterstattung schrittweise ein, und es wird erwartet, dass sie bis 2025 für in Großbritannien börsennotierte Unternehmen, Pensionskassen und Investmentmanager verpflichtend sein wird. Australien und Neuseeland verlangen bereits, dass Vermögenseigner diese Informationen zur Verfügung stellen. Und dieselben Daten werden allmählich auch für Unternehmensemittenten verlangt. Obwohl die weltweite Investoreninitiative zur Umsetzung der UN-Prinzipen für verantwortungsvolles Investieren (PRI) die Unterzeichner erst in etwa einem Jahr auf Basis der Einhaltung dieser empfohlenen Praxis bewerten wird, glauben wir, dass sie kommen wird.
AllianceBernstein (AB) kombiniert die detaillierten Unternehmens- und Sektorkenntnisse unserer Analysten sowie unser umfassendes Engagement für Emittenten in Klimafragen mit den von Drittanbietern verfügbaren Klimarisikodaten. Wir glauben, dass diese Kombination zu besseren Erkenntnissen führen sollte, als wenn man sich nur auf externe Klimadaten verlässt, und dass sie auch zu besseren Anlageentscheidungen und Berichten für die Kunden führen sollte.
Das Verständnis der Diskrepanzen in dieser ersten Generation von kommerziell verfügbaren Szenarioanalysen ist der erste Schritt zur Entwicklung besserer Werkzeuge. Wir erwarten substanzielle Verbesserungen der Modelle und Daten, da Vermögenseigner ihre Investmentmanager zu einer aussagekräftigen und relevanten Berichterstattung drängen, die in die Investmentanalyse einfließt. Unternehmen, die sich frühzeitig in diesem Prozess engagieren, können die Entwicklung besserer Modelle beeinflussen und gestalten und ihre Portfolios und Investoren besser auf die langfristigen Risiken und Chancen vorbereiten, die den Emittenten in den kommenden Jahren durch den Klimawandel entstehen.