Die Verbraucher werden sich des Problems immer stärker bewusst und beginnen, aus offensichtlichen ethischen Gründen darauf zu reagieren. Dasselbe gilt für die Anleger, denn diese analysieren die Unternehmen unter fundamentalen Gesichtspunkten, richten ihre Vermögenswerte stärker an ihren Überzeugungen aus und konzentrieren sich daher auf Umwelt-, soziale und Unternehmensführungs-Aspekte.
Um eine korrekte Analyse durchzuführen, müssen die Anleger die Länder und Branchen im Ganzen bewerten, aber auch einen korrigierenden Zoom auf alle Aspekte der Geschäftsmodelle und Lieferketten legen – die Verbindungen zur modernen Sklaverei können nämlich komplex sein und im Verborgenen liegen.
Die wahren Kosten des wöchentlichen Einkaufsbummels
Wie verwerflich ist dieses gesellschaftliche Übel, und wie schwierig ist es für die Anleger, sich ein Bild davon zu verschaffen und darauf zu reagieren? Das lässt sich anhand eines einfachen Ladenbesuchs aufzeigen.
Es beginnt bereits mit dem Auto des Verbrauchers: Mindestens vier Automobilhersteller – zwei davon in den USA und jeweils einer in Europa und Japan – verwenden brasilianisches Roheisen für die Fertigung ihrer Autotüren. Die Lieferkette für Roheisen beginnt mit der Verbrennung von Hartholz zur Herstellung von Holzkohle. Dieses Holz stammt von Bäumen, die häufig illegal gefällt werden, und die Holzkohle wird mit Sklavenarbeit im brasilianischen Regenwald hergestellt.
Und auch die Glanzlackierung des Wagens kann menschliche Opfer gefordert haben. Ein Bestandteil kann das Silikatmineral Glimmererde sein, das in Verbindung mit Kinderarbeit und Schuldknechtschaft in indischen Minen gebracht wird. Diese Lackierung sauber zu halten, könnte auf Kosten der ausgebeuteten Arbeiter in Autowaschanlagen gehen, die gerade in Großbritannien in der Kritik stehen. Auf dem Weg zum Laden wird Musik auf dem Mobiltelefon gestreamt, das Kobalt aus der Demokratischen Republik Kongo enthalten könnte, wo die Bergbauindustrie stark mit moderner Sklaverei verbunden ist.
Und auch der Parkplatz geht möglicherweise mit Ausbeutung einher: In mindestens einer australischen Einzelhandelskette wurde moderne Sklaverei, etwa in Form von Lohndiebstahl bei den Auftragnehmern aufgedeckt, die die Arbeiter für das Einsammeln der Einkaufswagen bereitstellen.
Wie sieht es nun mit der Einkaufsliste selbst aus? Mehr als 80 Prozent des weltweit exportierten Knoblauchs stammt aus China, wo die Arbeit von Gefängnisinsassen ein fester Bestandteil der Lieferketten ist. In Australien angebaute Beeren stehen möglicherweise in Zusammenhang mit aufgetretenen Missbrauchsfällen bei Saisonarbeitern. Fisch aus Thailand könnte ebenfalls suspekt sein: Manche Unternehmen in der thailändischen Fischereibranche behandeln ihre Mitarbeiter fair, es gibt aber auch viele Unternehmen, die auf Sklavenarbeit zurückgreifen.
Diese Beispiele sind alle verbraucherbezogen, aber die moderne Sklaverei ist in den globalen industriellen Lieferketten weit verbreitet, darunter auch in der Logistik und bei Fluggesellschaften. So ist beispielsweise bekannt, dass die von Flugpassagieren verwendeten Kopfhörer von Gefangenen in chinesischen Gefängnissen zwangsgefertigt werden.
Ein moralisches Problem ans Licht bringen – für die Gesellschaft und die Anleger
Da die moderne Sklaverei von Kriminellen betrieben wird, basiert sie auf Geheimhaltung und Korruption. Diese Verborgenheit kann es den Unternehmen erschweren, das Risiko der modernen Sklaverei in ihren globalen Lieferketten und manchmal sogar im eigenen Geschäftsbetrieb zu bestimmen. Und die Konsequenz daraus? Die Verbraucher und Anleger werden vielleicht unwissentlich zu Komplizen gemacht.
Wie können die Anleger diese Praxis und ihre Opfer ans Licht bringen?
Die Lösung liegt in einer umfassenden und tiefgehenden Recherche. Dies bedeutet, ganzheitlich nach Alarmzeichen zu suchen: beispielsweise die Länder zu analysieren, in denen ein Unternehmen Geschäfte betreibt oder mit Lieferanten zusammenarbeitet, und die Art der Geschäfte zu untersuchen. Möglicherweise muss auch genau betrachtet werden, wie einzelne Unternehmen mit ihren Lieferketten umgehen und wie die jeweiligen Richtlinien das Risiko der modernen Sklaverei angehen und reduzieren.
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass sich die Anleger direkt an die Unternehmensleitungen und Managementteams wenden und diese dazu auffordern, die moderne Sklaverei in den Lieferketten und im Betrieb zu bekämpfen. Dies ist sowohl moralisch als auch aus der Investmentperspektive sinnvoll – unserer Ansicht nach sind Unternehmen, die das Risiko der modernen Sklaverei in ihrer Lieferkette nicht verwalten können, schlicht und ergreifend nicht dazu in der Lage, ihre Lieferkette zu verwalten. Und das Management ignoriert ein globales Problem.