Die jüngste Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Glasgow, auch COP26 genannt, sorgte für reichlich Schlagzeilen. Aufsehen erregte unter anderem die Einigung der Staaten in letzter Minute, die Reduzierung der Emissionen zu beschleunigen und 2022 erneut zusammenzukommen, um noch ehrgeizigere Ziele zu definieren. Zweifellos steht noch harte Arbeit bevor, und die Zeit drängt.
Wichtig waren auch die grundlegenden Themen, die in den offiziellen Ankündigungen und zahlreichen Nebenveranstaltungen auf der 12-tägigen Konferenz im schottischen Glasgow zutage traten. Sie reichten von der Einsicht, dass Nachhaltigkeitskompetenzen und finanzielle Anreize verbessert werden müssen, bis hin zu der Auffassung, dass ein tiefgreifenderes, kollektives Engagement oder sogar eine radikale Kooperation das Rennen zur Klimaneutralität beschleunigen können.
Von „Sauberer Technologie“ zu „Klimalösungen“
Interessant waren die neuen Töne mit der Abkehr des Dialogs von dem Konzept der Entwicklung spezieller sauberer Technologien. So gab es beispielsweise kaum Diskussionen über Batteriespeicher und erneuerbare Energien, obwohl sie beim Übergang zur Klimaneutralität eine zentrale Rolle spielen. Vielmehr rückte das Konzept der Klimalösungen erneut in den Mittelpunkt der Gespräche.
Was bedeutet das in der Praxis? Inzwischen setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Dekarbonisierung nicht nur ein Problem für den Energie- und Versorgungssektor ist, sondern sämtliche Branchen unter Druck setzt. Die Entscheidungsträger wiesen darauf hin, dass jedes einzelne Unternehmen seine Treibhausgasemissionen reduzieren und auf null senken muss, um langfristig rentabel zu bleiben. Bei den Gesprächen ging es um Themen wie Humankapital, Kultur und naturbasierte Lösungen. Aktive Anleger wie AB untersuchen, wie Emittenten aus verschiedenen Branchen, Sektoren und Regionen ihre Unternehmen und Volkswirtschaften darauf vorbereiten, in einer klimaneutralen Wirtschaft erfolgreich zu sein.
Langsames Aufwachen der Politik – weitere Impulse erforderlich
Politische Vorgaben zur Dekarbonisierung sind zweifellos eine grundlegende Voraussetzung, um die „Spielregeln“ für Staaten und Wirtschaft zu bestimmen. Vor allem in Großbritannien und der Europäischen Union wurden bereits umfangreiche Maßnahmen umgesetzt. Das Tempo wird sich voraussichtlich beschleunigen. So fordern die Unternehmen eine stärkere Regulierung, da Branchensprecher in Sektoren wie Schifffahrt und Luftfahrt mit Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten, um den Pfad zum Netto-Null-Ziel zu planen.
Vermögensverwalter und Anleger müssen bei der Gestaltung dieser Politik proaktiv sein. Politische Lobbyarbeit könnte sich durch Unterstützung notwendiger Regulierungen, Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen oder individuelles und kollektives Engagement in sektorspezifischen politischen Themen äußern. Hierzu zählen beispielsweise die Bemühungen von AB zur Stärkung der Vorschriften der US-Wertpapieraufsicht bezüglich der Offenlegung klimarelevanter Informationen und unsere Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen im Kampf gegen das Abfackeln. Durch Einflussnahme auf die politischen Rahmenbedingungen kann die Anlegergemeinde dazu beitragen, dass die Vorschriften wirksam, praktisch und gerecht sind.
Einflussnahme auf Umweltsünder fördert die Klimawende
Selbst unter den strengsten Verfechtern rascher Klimaschutzmaßnahmen sind inzwischen immer mehr gegen einen Investitionsstopp. Ein Grund: Ein Kapitalabzug fördert den Verkauf von klimaschädlichen Assets an Privatunternehmen, bei denen die Kontrolle durch Aktionäre und anhand von ESG-Kriterien schwächer ist. Wird der Geldhahn für Märkte mit besonders hohen Emissionen zugedreht, wirkt sich das unverhältnismäßig stark auf Schwellen- und Frontier-Märkte aus, die das Gros der physischen Risiken des Klimawandels tragen. Das könnte die Anpassung an den Klimawandel ungerecht machen. Der Abzug von Kapital erhöht auch die Fremdfinanzierungskosten, was die Energie- und Lieferkettenkosten kurz- und mittelfristig in die Höhe treiben könnte.
Statt das Kapital komplett aus emissionsintensiven Branchen abzuziehen, befürworten offensichtlich immer mehr Stakeholder ein stärkeres Engagement, um durch ihre Macht als Kapitalgeber das Verhalten der Emittenten zu beeinflussen. Ohne sie wird der Übergang zu Netto-Null schlichtweg scheitern. Daher ist ein leistungsorientiertes Regelwerk für den Dialog mit Emittenten über ihre Praktiken und Fortschritte bei der CO2-Reduktion und ihre Pläne zur Umstellung ihrer Geschäftstätigkeit erforderlich.
Es sollten Eskalationsstufen für den Dialog umgesetzt und gestärkt werden, für den Fall, dass keine Fortschritte erzielt werden. Dabei sind Gespräche über die Geschäftstätigkeit der Emittenten sowie ihre Lieferketten erforderlich, und Fortschritte müssen anhand spezieller Kennzahlen und Meilensteine bewertet werden.
Abbau von Defiziten bei Nachhaltigkeitskompetenzen
Für die notwendigen Entscheidungen, Führungsqualitäten und Technologien, um die Erderwärmung bis 2050 auf 1,5 Grad einzudämmen, müssen sich die Klimakompetenzen erheblich verbessern. Besonders akut ist der Mangel an Nachhaltigkeitskompetenzen bei großen Umweltsündern, denen es kaum gelingt, Talente anzuwerben. Ein Manager brachte es auf der COP26 auf den Punkt: „Stahl ist nicht sexy.“
Die Qualifikationen müssen sich auf breiter Front verbessern. So müssen beispielsweise Top-Manager ihre Führungsqualitäten verbessern, um Unternehmen sicher durch die Übergangsphase zu steuern. Viele Unternehmen und Emittenten, wie etwa Kommunen und Regierungen, würden von einem größeren Pool qualifizierter Nachhaltigkeitsexperten profitieren. Investoren müssen sich ihrerseits intensiver mit der Klimawissenschaft befassen, gegebenenfalls mit Unterstützung von Wissenschaftlern, um Klimawissen in Anlagewissen umzumünzen.
CO2-Ausgleich wird bleiben
In mehreren Diskussionen ging es um den Emissionshandel, den Ruf nach höheren CO2-Preisen und die Bedeutung der CO2-Kompensation. Abgesehen von CO2-Steuern spielt der CO2-Ausgleich eine wichtige Rolle, um einen angemessenen Preis für Emissionen sicherzustellen. Auf der COP26 ging es vor allem um schärfe Regelungen für den globalen Emissionshandel und die Schließung von Schlupflöchern durch die Einführung von Systemen zur Verifizierung von Emissionsgutschriften.
Die Finalisierung von Artikel 6 des Übereinkommens von Paris über die Preise für den Emissionshandel hat sich deutlich spürbar ausgewirkt. Der Preis für naturbasierte Emissionsgutschriften ist um 45% und der für Emissionsgutschriften aus der Luftfahrtindustrie um fast 20% gestiegen. Eine Kompensation wird es möglicherweise weiterhin in unterschiedlichsten Formen und auf vielen Märkten geben. Verbesserungen in den Bereichen Qualitätssicherung, Transparenz und Verifizierung können allerdings anhaltendes Wachstum fördern, die Nutzung sauberer Kraftstoffe, Technologien und Lösungen beschleunigen und gewährleisten, dass wertvolle Wälder erhalten bleiben, um CO2 zu binden.
Mischfinanzierung ist bei der Anpassung an den Klimawandel unerlässlich
In vielen Gesprächen ging es um die Notwendigkeit, mehr gemischte Finanzierungsinstrumente zur Finanzierung von Maßnahmen zur Klimaanpassung bereitzustellen. Bei der Mischfinanzierung wird Entwicklungskapital kreativ eingesetzt, um Kapital aus dem Privatsektor anzulocken. So sollen Projekte zur Anpassung an den Klimawandel und zum Klimaschutz finanziert und kommerzialisiert werden. Entwicklungsbanken konzipieren häufig entsprechende Strukturen und Instrumente.
Auf der COP26 präsentierten Rückversicherer und Investmentbanken Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Regierungen, multilateralen Banken und supranationalen Organisationen, um die Finanzierung solcher Projekte zu strukturieren. In einigen Fällen arbeiten Vermögenseigner direkt mit Regierungen und Unternehmen zusammen, um Initiativen für Energie-, Pipeline- und Übertragungsinfrastrukturprojekte zu finanzieren. Angesichts des enormen Kapitalbedarfs für die Klimawende ist eine breitere Nutzung von Mischfinanzierungen ein wichtiger Motor.
„Radikale Kooperation“ sorgt für kollektive Ermächtigung
Viele Befürworter setzen sich leidenschaftlich dafür ein, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, unter anderem Privatpersonen, Unternehmen, Branchenverbände, Wissenschaftler, Regierungen, supranationale und Nichtregierungsorganisationen. Keine dieser Gruppen kann allerdings die globale Erwärmung allein begrenzen. Vielmehr ist eine radikale Kooperation erforderlich, damit viele Akteure gemeinsam Probleme lösen können, die über formale Grenzen hinausgehen.
Vermögensverwalter, Emittenten, Anleger und Wissenschaftler sind wichtige Stakeholder und die radikale Kooperation umspannt viele COP26-Themen, über die wir hier gesprochen haben, darunter Engagement, Verbesserung der Nachhaltigkeitskompetenz und Mischfinanzierung. Eine intensivere Zusammenarbeit ist möglich, etwa durch das Zusammenbringen von Unternehmen, die nach Lösungen suchen, mit jenen, die sie haben, durch innovative Zusammenarbeit bei Technologien, durch Einbindung von Unternehmen oder durch die Nutzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen über das Klima, um das Anlagewissen zu verbessern.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die auf der COP26 diskutierten Themen die wachsende Dringlichkeit der Klimaneutralität, die Notwendigkeit kreativer Ansätze zur Förderung und Finanzierung von Fortschritten und die Erkenntnis unterstreichen, dass keine Stakeholdergruppe den Erfolg allein vorantreiben kann. Die Fortschritte auf dem Weg zur Klimaneutralität müssen energisch, innovativ und gemeinsam erfolgen. Und wir alle müssen unseren Teil dazu beitragen.