Europas Wirtschaft bewegt sich in unterschiedliche Richtungen: Die Inflation steigt und das Wachstum verlangsamt sich. Was soll eine Zentralbank angesichts dieses Dilemmas tun? Leider gibt es keine guten Antworten. Eine Anhebung der Zinsen, um die hohe Inflation zu bekämpfen, wird die Wachstumsverlangsamung noch verstärken; eine Lockerung der geldpolitischen Bedingungen, um das Wachstum zu stützen, bedeutet auch, die Inflation zu lange zu hoch laufen zu lassen.
Wachstums-Inflations-Dilemma ist in Großbritannien am stärksten ausgeprägt
Dieses Dilemma ist in Großbritannien ausgeprägter als in der Europäischen Union oder den USA, weil die Inflation noch höher ist – und wahrscheinlich auch bleiben wird. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass die regulierten Energiepreise in Großbritannien sowohl im April als auch im Oktober neu festgesetzt werden. Die Erhöhung im April betrug mehr als 50 %, und im Oktober ist mit einer weiteren großen Anpassung zu rechnen.
Gleichzeitig wird die Wachstumsverlangsamung in Großbritannien deutlicher, was sich auch in den Prognosen der Bank of England widerspiegelt. Die Zentralbank erwartet nun, dass die britische Wirtschaft 2023 schrumpfen und 2024 nur noch leicht wachsen wird. Auch der Brexit wird den britischen Handel weiter belasten und das Wachstum nach unten ziehen.
Geldpolitische Gremien werden sich zunehmend spalten
Doch die Briten sind nicht als Einzige mit dieser Herausforderung konfrontiert – auch wenn sie am stärksten ausgeprägt ist. Unsere Prognosen für die USA und die Eurozone zeigen eine Verlangsamung des Wachstums im Jahr 2022, auch wenn die Inflation weiterhin deutlich über dem Zielwert liegt. Im Moment erwartet der „Offenmarktausschuss“ der US-Notenbank (FOMC) einstimmig eine Straffung der Geldpolitik, aber wir gehen davon aus, dass dieser Konsens im Laufe des Jahres ausfransen wird, wenn sich die Anzeichen für eine Verlangsamung des Wachstums häufen. Die eher aggressiven Mitglieder werden die Zinsen so lange anheben wollen, bis die Inflation deutlich gesunken ist, während die eher zurückhaltenden Mitglieder schneller auf ein langsameres Wachstum reagieren werden. Das Gleiche gilt für die Europäische Zentralbank (EZB): Einige Mitglieder scheinen darauf erpicht zu sein, die Zinsen schon im Juli anzuheben, während andere sehr viel vorsichtiger sind. Diese Kluft wird sich im weiteren Verlauf des Jahres noch vergrößern.
Kompromisse wahrscheinlich
Wir gehen davon aus, dass alle drei Zentralbanken versuchen werden, einen Mittelweg zu finden. Die Bank of England wird die Zinsen wahrscheinlich weiter anheben – es ist einfach zu viel von einer Zentralbank verlangt, die Zinsen so niedrig zu halten, wenn die Inflation nahe bei 10 % liegt. Wir sehen den Höchststand der britischen Zinsen bei 2,0 % (Abbildung).