Es war ein langer und steiniger Weg, und den meisten Anlegern ist etwas mulmig zumute. Es stellt sich die Frage: Liegt das Schlimmste hinter uns? Wahrscheinlich nicht. In diesem Halbjahresausblick gehen wir auf die hartnäckig hohe Inflation, steigenden Zinsen, das erhöhte Rezessionsrisiko und die Neubewertung von Unternehmensanleihen ein. Außerdem verraten wir, mit welchen Strategien sich Anleger auch unter schwierigen Bedingungen behaupten können.
Allgegenwärtig: die Inflation
Die Inflation bleibt für Anleger und Entscheidungsträger das beherrschende Thema. Die Preise steigen so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr, und Erwartungen, dass eine Wiederöffnung der Weltwirtschaft den Druck verringern würde, haben sich zerschlagen. Eine Vielzahl von Verwerfungen, von den pandemiebedingten Lockdowns in China bis hin zum Einmarsch Russlands in die Ukraine, hat die Preise stattdessen immer weiter nach oben getrieben.
Die Zentralbanker reagierten mit einer Straffung der Geldpolitik, um die Nachfrage auf ein dem Angebot entsprechendes Niveau abzusenken. Die US-Notenbank hat die Zinsen seit März um 150 Basispunkte angehoben und ist noch nicht am Ende des Zinserhöhungszyklus. Auch die Zentralbanken in Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland erhöhen die Zinsen, und die Europäische Zentralbank scheint bereit zu sein, dies im Juli ebenfalls zu tun. In vielen Emerging Markets ist der Zinserhöhungszyklus bereits weit fortgeschritten. Nur die Bank of Japan und die People’s Bank of China werden die Zinsen aufgrund spezifischer Entwicklungen in ihren Ländern aller Voraussicht nach nicht anheben.
Der Haken: Die Geldpolitik wirkt mit einer Verzögerung. Es dauert eine gewisse Zeit, bis die Wirtschaft den vollen Effekt von Zinserhöhungen spürt. Wir erwarten jedoch, dass sich das Wachstum im Laufe des Jahres verlangsamen und die Inflation allmählich zurückgehen wird. Die Frage ist, ob das Wachstum zu stark nachlassen wird. Es ist schwierig, eine sanfte Landung sicherzustellen. Das gilt insbesondere im Falle einer hartnäckig hohen Inflation, die die Zentralbanken zu einer aggressiven Straffung zwingt. Das Risiko einer Rezession hat zugenommen[LST1] [MD2] , weshalb die Marktvolatilität stark gestiegen ist und kurzfristige Liquiditätsengpässe entstehen. Dadurch ergeben sich jedoch auch Chancen.
Unternehmensanleihen im Fokus
Eine straffere Geldpolitik und ein steigendes Rezessionsrisiko sind Gefahren für Unternehmensanleihen. Dennoch sind Investment-Grade- und Hochzinsanleihen aus unserer Sicht aktuell aus mehreren Gründen attraktiv.
Erstens verfügen die Unternehmen über starke langfristige Fundamentaldaten, was in der Vergangenheit zu Beginn eines Konjunkturabschwungs meist nicht der Fall war. Der Markt für Unternehmensanleihen durchlief erst vor zwei Jahren, als die Pandemie ausbrach, einen Ausfallzyklus. Als Gewinner gingen die Unternehmen hervor, die der Krise widerstanden, und diese gingen in den vergangenen zwei Jahren sehr vorsichtig mit ihren Bilanzen und ihrer Liquidität um – selbst dann noch, als sich der Umsatz und die Gewinne erholten.
Außerdem haben die meisten Emittenten ihre Laufzeiten seit Pandemiebeginn verlängert. Somit droht keine „Mauer der Fälligkeit“, bei der ein Großteil der Anleihen das Laufzeitende erreicht und die Emittenten gezwungen sind, neue Schulden zu den dann geltenden Zinssätzen aufzunehmen. Anders ausgedrückt: Die Unternehmen werden noch viele Jahre lang von niedrigen Kupons profitieren, selbst wenn die Renditen über Jahre hinweg hoch bleiben. Die Herabstufungen und Zahlungsausfälle dürften in den nächsten zwölf Monaten aus unserer Sicht daher nach historischen Maßstäben sehr gering bleiben.
Zweitens sind Unternehmensanleihen bei den aktuell weiteren Spreads attraktiv bewertet. Die Renditen und Spreads befinden sich auf Mehrjahreshochs, und die Renditen europäischer Unternehmensanleihen mit Investment Grade betragen im Durchschnitt über 200 Basispunkte mehr als im August 2021, als die Hälfte der im Index vertretenen Titel negative Renditen aufwies. Über einen Zeitraum von zehn Jahren gesehen, haben die Renditen von US-Unternehmensanleihen mit Investment Grade in lediglich vier Monaten vom vormals 13. Perzentil nunmehr das 99. Perzentil erreicht.
Da sich der Markt keine Sorgen über Ausfälle macht, verlangt er keine Prämie für das Ausfallrisiko. Dagegen ist die Prämie für die Volatilität historisch hoch. Mit anderen Worten: Wenn die Marktvolatilität von den heutigen Niveaus abnimmt, werden auch die Renditeaufschläge sinken; und umgekehrt werden sie wahrscheinlich steigen, wenn die Marktvolatilität zunimmt. Wir erwarten, dass die Volatilität noch über einen längeren Zeitraum hoch und die Spreads infolgedessen weit bleiben werden. In diesem Umfeld ist der „Carry“, das heißt die Vereinnahmung des Kupons der Anleihe, das Maß aller Dinge.
Drittens signalisieren die heutigen höheren Renditen höhere Erträge für hochverzinsliche Anleihen und andere einkommensstarke Anlageklassen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Yield-to-Worst (Rendite im schlechtesten Fall) des Hochzinssektors ein zuverlässiger Indikator für die Erträge von Hochzinsanleihen in den darauffolgenden fünf Jahren war. Tatsächlich haben sich Hochzinsanleihen in der globalen Finanzkrise und damit einer der schwierigsten Phasen der Wirtschafts- und Marktturbulenzen, die es je gab, vorhersehbar entwickelt. Während dieses Zeitraums blieb das Verhältnis zwischen Yield-to-Worst und den künftigen Fünfjahreserträgen konstant. Der Grund: Hochverzinsliche Anleihen bieten ein beständiges Einkommen, das nur wenige andere Anlagen bieten können.
Intelligent steuern
Hier erfahren Sie, wie aktive Anleger die Herausforderungen in diesem Umfeld meistern können.
Seien Sie dynamisch. Wir rechnen mit einer weiterhin hohen Volatilität und knappen Liquidität. Aktive Manager sollten sich darauf vorbereiten, von sich schnell ändernden Bewertungen und kurzlebigen Chancen zu profitieren, wenn andere Anleger auf Schlagzeilen reagieren.
Schützen Sie sich vor der Inflation. Da die Inflation wahrscheinlich noch einige Zeit hoch bleiben wird, bevor sie wieder auf das Zielniveau sinkt, können Instrumente wie inflationsgeschützte Staatsanleihen und Consumer Price Index (CPI) Swaps, die einen expliziten Inflationsschutz bieten, eine wichtige Rolle in Portfolios spielen.
Setzen Sie auf höherverzinsliche Anleihen. Die Umlaufrenditen der meisten Risikoanlagen sind heute so hoch wie seit Jahren nicht mehr – eine Gelegenheit, auf die Anleger lange gewartet haben. „Spread-Sektoren“ wie Investment-Grade-Unternehmensanleihen, hochverzinsliche Unternehmensanleihen und verbriefte Wertpapiere, einschließlich durch Gewerbeimmobilien besicherten Wertpapieren (Commercial Mortgage-Backed Securities) und Kreditrisikotransferpapieren (Credit Risk-Transfer Securities), können dank der hohen Erträge ebenfalls als Puffer gegen die Inflation dienen.
Hochverzinsliche Unternehmensanleihen aus den Industrieländern erscheinen aktuell besonders attraktiv. Da die Yield-to-Worst des Bloomberg Global Corporate High-Yield Bond Index im Durchschnitt bei 9% liegt und die langfristigen Fundamentaldaten nach wie vor positiv sind, können Anleger mit einem längerfristigen Horizont kurzfristige Rückschläge aushalten. Dennoch sollte man bei Anleihen wählerisch sein.
Bei Emerging-Market-Anleihen bleiben wir dagegen vorsichtig. Die Inflationsrisiken haben so stark zugenommen, dass die Zentralbanken der Emerging Markets gewillt scheinen, Wachstum zu opfern, um die Inflationsspirale zu stoppen. Dies könnte sich angesichts der anhaltenden Engpässe bei der Lebensmittelversorgung, die unter anderem durch den Krieg in der Ukraine verursacht werden, allerdings als schwierig erweisen.
Wählen Sie einen ausgewogenen Ansatz. Globale Multisektorstrategien eignen sich gut für ein sich schnell änderndes Anlageumfeld, da die Anleger die Bedingungen und Bewertungen genau beobachten und sich darauf vorbereiten können, das Portfolio umzustrukturieren, wenn die Bedingungen dies rechtfertigen. Zu den effektivsten aktiven Strategien gehören solche, die Staatsanleihen und andere zinssensitive Vermögenswerte mit wachstumsorientierten Kredittiteln in einem einzigen, dynamisch verwalteten Portfolio kombinieren.
Dank diesem Ansatz ist es für Manager einfacher, die Wechselwirkungen zwischen Zinssätzen und Kreditrisiken in den Griff zu bekommen und bessere Entscheidungen darüber zu treffen, welche Gewichtung jeweils verstärkt werden sollte. Die Möglichkeit, negativ korrelierte Vermögenswerte umzuschichten, trägt zur Generierung von Erträgen und potenziellen Renditen bei und begrenzt gleichzeitig das Ausmaß der Drawdowns, wenn Risikoanlagen abgestoßen werden.
Fahrplan für die Zukunft
Angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine empfiehlt es sich für Anleger, sich mit den langfristigen Themen zu befassen, die zweifellos die Art und Weise verändern werden, wie wir Länder und Unternehmen analysieren und Portfolios für die kommenden Jahre aufbauen.
Wie wird sich zum Beispiel Europa verändern? Werden die europäischen Länder ihre Energiestrategien neu ausrichten und den Einsatz erneuerbarer Energien forcieren? Wird der Krieg die Art und Weise ändern, wie ESG-orientierte Anleger über Rüstungsunternehmen denken?
In Zukunft könnten die Rohstoffmärkte ganz anders aussehen als heute, da sich die Produktionsquellen sowie die Transport- und Raffineriekapazitäten stark verändern könnten. Die Deglobalisierung könnte an Fahrt gewinnen. Was passiert, wenn mehr Länder die Produktion in ihre Heimatmärkte zurückführen? Das sind nur einige der komplexen Fragen, mit denen sich unsere Anlageteams auseinandersetzen.
Wir empfehlen den Anlegern am Anleihemarkt vorerst eine langfristige Perspektive. Durch eine längerfristige Betrachtung können Anleger eine Überreaktion auf die heutigen Schlagzeilen vermeiden – selbst wenn sie taktische Anpassungen vornehmen, um Chancen zu nutzen, die sich dadurch ergeben, dass andere Anleger überkorrigieren.