Der Marktschock spiegelt eine galoppierende Inflation in mehreren Regionen wider, die Unsicherheit und politische Differenzen weltweit gefördert hat. Derzeit bereitet sich die Europäische Zentralbank auf ihre erste Zinsanhebung seit über einem Jahrzehnt vor. Im Vereinigten Königreich keimt gerade eine Stagflation auf – eine toxische Mischung aus Inflation und nachlassendem Wirtschaftswachstum. Im Gegensatz dazu bleibt die Inflation in Japan, das an einer lockeren Geldpolitik festhält, niedrig. China bewegt sich asynchron zu den Industrieländern: Das Land lockert seine Geldpolitik, um zur Erreichung der 5,5%-Zielvorgabe der Regierung für das BIP-Wachstum beizutragen, und dämpft zugleich die Wirtschaftsaktivität durch seine Null-Covid-Politik. Da ein Ende des Krieges zwischen Russland und der Ukraine nicht in Sicht ist, belastet die geopolitische Instabilität weiterhin den globalen Ausblick.
US-Wirtschaftsdrama rückt ins Zentrum der Aufmerksamkeit
Doch das Drama, das sich in der US-amerikanischen Wirtschaft abzeichnet, rückte im Berichtsquartal ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Bedenken über die Auswirkungen der rapide steigenden US-Zinssätze auf die Aktienbewertungen haben sich zu Rezessionssorgen entwickelt. Die Anleger fragen sich mittlerweile, ob die Unternehmensgewinne gebremst werden, da sowohl Nachfrage als auch Margen unter Druck geraten.
Kern des Problems ist die eskalierende Inflation. Am 10. Juni zeigte der Verbraucherpreisindex für Mai einen sprunghaften Anstieg der Inflation in den USA auf ein 40-Jahres-Hoch von 8,6%. Fünf Tage später hob die US-Notenbank die Zinssätze um 75 Basispunkte an – ihre größte Zinserhöhung seit 1994 – und erhöhte die Zielspanne für den Leitzins auf 1,5% bis 1,75%. Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell machte deutlich, dass die Abkühlung der Inflation oberste Priorität hat, was weithin als ein Zeichen interpretiert wurde, dass die Fed bereit war, das Risiko einer Verlangsamung oder Rezession der US-Wirtschaft einzugehen. Da US-Aktien das Quartal mehr als 20% unter ihren Höchstständen im Januar beendeten, was der Standarddefinition eines Bärenmarkts entspricht, wich die Hoffnung auf eine sanfte Landung für die US-Wirtschaft zunehmend Rezessionsängsten.
Wie wahrscheinlich ist also eine Rezession in den USA? Einerseits waren Bärenmärkte in den USA in allen Fällen mit nur einer Ausnahme seit 1970 Vorboten für Rezessionen. Die Indikatoren für das Konsum- und Geschäftsklima werden schlechter, und gleichzeitig haben sinkende Aktienkurse die Privatvermögen aufgezehrt, was möglicherweise zu einer Verringerung der Ausgaben führen wird. Viele angebotsseitige Ungleichgewichte, von den Ölpreisen bis hin zu den Störungen in den Lieferketten, sind einfach nicht von der Fed kontrollierbar.
Doch es gibt einige eindämmende Kräfte. In vielen Branchen sind die Großhandelsbestände wieder zurück auf normalen Niveaus. Die US-Haushalts- und Bankbilanzen präsentieren sich solide. Obgleich eine Konjunkturabkühlung die Kaufkraft der Konsumenten verringert, könnte der geldpolitische Druck bei nachlassenden Energiepreisen und sinkenden Inflationserwartungen verringert werden.
Was implizieren die Aktienkurse?
Jeder Konjunkturabschwung weist einzigartige Merkmale auf. Mit Beginn des dritten Quartals ist klar sichtbar, dass die Zinsen in den USA steigen und dass der Einkaufsmanagerindex (PMI), ein wichtiges Signal für wirtschaftliche Expansionen und Kontraktionen, nach unten weist. In früheren Phasen der Konjunkturabschwächung kam es mit dem Absacken des Einkaufsmanagerindex zu erheblichen Abwärtskorrekturen bei den Unternehmensgewinnen.
Das ist bisher noch nicht geschehen. Die Aktienmarktrückgänge waren in diesem Jahr vorwiegend auf mehrfache Kompression zurückzuführen. Anders ausgedrückt: Die Aktienkurse fielen, die Gewinnprognosen in den USA und anderen Märkten (Abbildung) dagegen im Allgemeinen nicht; in manchen Fällen, vor allem in Europa, sind die korrigierten Gewinnprognosen nach wie vor positiv. Die Gewinnprognosen dürften demnach sinken, und bei Aktien wird es unter Umständen zu weiteren Kursrückgängen kommen.