Russlands Macht auf der Weltbühne beruht auf seinen riesigen Öl- und Gasreserven. Seit der Invasion in der Ukraine haben die westlichen Länder ihre Sanktionen verschärft, einschließlich erster Bemühungen, einen Teil der russischen Ölexporte zu verbieten. Die Ausweitung und Durchsetzung eines Ölembargos wird jedoch weitreichende Folgen haben – für alle Seiten.
Russlands Invasion zeigt die Verwundbarkeit des Westens
Die Ölmärkte waren bereits vor dem Ausbruch des Krieges unterversorgt; jetzt steuern sie noch stärker auf ein Defizit zu. In den westeuropäischen Ländern haben Umweltgesetze und -vorschriften die Ausweitung des Öl- und Gasangebots im privaten Sektor gebremst, während in den USA die höheren Kapitalkosten und das Streben nach höheren Erträgen das neue Angebot ebenfalls einschränken. Das Ergebnis? Engere und stärker schwankende Märkte. Wenn das russische Öl vom Markt verschwindet, wird es angesichts dieser Beschränkungen sehr schwierig sein, kurzfristig genügend neue Lieferquellen zu finden, um die Lücke zu schließen und einen starken Anstieg der Ölpreise zu verhindern.
Das Ölembargo beginnt zu wirken
Die USA und Großbritannien haben Ölembargos angekündigt, wobei das US-amerikanische Verbot sofort am 8. März in Kraft tritt und Großbritannien plant, die russischen Öleinfuhren bis Ende des Jahres einzustellen. Beide Länder importieren im Verhältnis zu ihrem gesamten Energiemix relativ wenig russisches Öl, sodass ihre Maßnahmen weitgehend symbolisch erscheinen. Um ihre volle Wirkung zu entfalten, müssten sich viele weitere Länder dem Embargo anschließen, vor allem die Europäer, die in viel stärkerem Maße auf russische Lieferungen angewiesen sind.
In der Zwischenzeit scheuen sich jedoch große globale Ölabnehmer wie BP und ENI, gegen ein Embargo zu verstoßen, und haben daher begonnen, sich selbst zu sanktionieren. Die Seeexporte aus Russland in die OECD-Länder wurden bereits um die Hälfte reduziert, während Ural-Rohöl mit einem Abschlag von etwa 25 US-Dollar pro Barrel gegenüber Brent gehandelt wird, verglichen mit nur 4 US-Dollar im Februar. Und der Preis für Diesel, der für den gewerblichen Verkehr und den Maschinenbau unerlässlich ist, spiegelt die tatsächliche Knappheit wider. Können die europäischen Staaten Klarheit in eine verworrene und sich verschlechternde Situation bringen?
Embargo bringt Europa in eine schwierige Lage
Europa steht vor einer härteren Entscheidung als die USA und Großbritannien. Die europäischen Länder, insbesondere Deutschland und Italien, sind bei über 40 % ihres Erdgases und 30 % ihres Öls von Russland abhängig. Diese Abhängigkeit gibt Russland ein Druckmittel in die Hand, denn jede Maßnahme zur Unterbrechung der russischen Ölimporte könnte auch zur Unterbrechung der russischen Gaslieferungen führen. Die Europäische Union hat vor Kurzem einen Rahmenplan veröffentlicht, der darauf abzielt, deutlich vor 2030 von russischen Energielieferungen unabhängig zu werden und die EU-Nachfrage nach russischem Gas bis Ende dieses Jahres um zwei Drittel zu senken. Die Umsetzung dieser Maßnahmen wird jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Nach Schätzungen des europäischen Think-Tanks EconPol würden sich die kurzfristigen Kosten eines vollständigen Stopps der russischen Energieimporte für Deutschland auf 3 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) belaufen. EconPol konnte jedoch größere wirtschaftliche Einbrüche und Verwerfungen nicht ausschließen. RWE, der größte deutsche Stromerzeuger, hat sogar vor „unvorstellbaren Folgen“ für die Wärmeversorgung der Haushalte gewarnt. Es ist unmöglich, die Chancen eines konzertierten europäischen Verbots für russisches Öl vorherzusagen. Geopolitische Prognosen gehen derzeit von einer Wahrscheinlichkeit zwischen 30 % und 50 % aus, aber in dieser volatilen Situation können sich die Aussichten von Tag zu Tag ändern.
Die Auswirkungen des Embargos auf die Weltmärkte
Selbst im günstigsten Fall wäre es eine Herausforderung, Russlands Anteil an der Weltversorgung zu ersetzen. Ein optimistisches Szenario würde eine höhere Produktion aus US-Schiefergas sowie Öl aus OPEC-Ländern und Ländern, die derzeit von US-Sanktionen betroffen sind, wie Venezuela und Iran, beinhalten. Ein Großteil dieser höheren Produktion würde jedoch weitere Investitionen und viel mehr Zeit erfordern.
Ein völliger Ausfall der russischen Ölexporte wäre daher kurz- und mittelfristig sehr schädlich für das globale BIP. Deutlich höhere Preise würden zu einer Reduzierung der Nachfrage führen, um den Markt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Verbraucher und Unternehmen müssten sparen und die Nachfrage würde schrumpfen, bis schließlich wieder ein ausreichendes Angebot zur Verfügung stünde und die Preise sinken könnten. Erdöl macht nicht nur 5 % des weltweiten BIP aus, sondern ist auch eine wichtige Triebkraft für die meisten Wirtschaftstätigkeiten.
Unsere Szenarioanalyse deutet darauf hin, dass die Ölpreise bei einer Verringerung der Nachfrage („Verschärfung“, Abbildung unten) auf 200 US-Dollar pro Barrel steigen könnten. Dieses Schlimmstfall-Szenario erhöht auch die Wahrscheinlichkeit russischer Vergeltungsmaßnahmen gegen den Westen, die zu einer weiteren Eskalation und zu menschlichem Leid und wirtschaftlichen Schäden führen könnten.